Im Jahr 1899 sind die sogenannten Völkerschaus, die Einheimische aus nichteuropäischen Ländern zum Vergnügen des Publikums zur Schau stellen, in vollem Gange. Heinrich, ein Gesandter von Carl Hagenbeck, muss jedoch mit einer afrikanischen Familie verhandeln, die sich zur Verdeidigung ihrer Rechte zwei Anwälte zu Hilfe geholt hat. Ein weiterer Handlungsstrang erzählt von Heinrichs Reise nach Deutsch-Neuguinea, bei der er nach einigen Strapazen diese Familie "gefunden" hat und nach Hamburg bringt.
CKLKH Fischer
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Große Kannibalenschau
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Hamburg im September 1899: In Europa ziehen Völkerschauen Millionen von Besuchern an. Jeder will die Eskimos, Beduinen oder Negerstämme sehen, die in den Zoos und Varietés der Metropolen ausgestellt werden. Deshalb reist Heinrich Hermann im Auftrag des legendären Tierhändlers und Tierparkbesitzers Hagenbeck durch die Welt und sucht nach lohnenswerten Ausstellungsobjekten. Nach vielen Strapazen gelingt es ihm, im Dschungel von Deutsch-Neuguinea einen neuen Stamm Kopfjäger unter Vertrag zu nehmen und sie erfolgreich nach Hamburg zu bringen. Doch er hat nur wenig Zeit, sich seiner Frau und seiner geliebten Tochter zu widmen, denn die Wilden haben schnell gelernt. Eines Morgens meldet das Dienstmädchen aufgeregt: „Da ist jemand vom Tierpark. Er sagt, Sie sollen schnell mitkommen. Er sagt, es eilt. Er sagt auch, Ihre Wilden würden - streiken. Und sie hätten sich einen Anwalt genommen.“
Dass man exotische Menschen Ende des 19. und zu Beginn des 20 Jahrhunderts in Zoos ausgestellt hat, war mir schon seit längerem bekannt. Sie wurden zwar selten mit Gewalt geraubt, aber oft nicht besser als Vieh behandelt und zur Belustigung des europäischen Publikums zur Schau gestellt. Was mir bei diesem Buch aber besonders gut gefallen hat, ist die Idee, die Machtverhältnisse umzukehren. Da mit diesen „Wilden“ tatsächlich Verträge geschlossen wurden und man sie zumindest für die Reise mit gültigen Papieren ausstatten musste (schließlich waren sie als Einwohner einer deutschen Kolonie deutsche Untertanen), waren sie also theoretisch rechtsfähig. Dadurch, dass im Roman nun die Wilden über Anwälte ihre Ansprüche durchsetzen, stellen sie die bürgerliche Welt auf den Kopf und lassen die Grenzen zwischen „wild“ und „zivilisiert“ verschwimmen. Das führt zu herrlich absurden Situationen, etwa wenn Heinrich Hermann gezwungen ist, die Wilden zur Geburtstagsfeier seiner Mutter mitzunehmen, weil ihnen im Vertrag das „Kennenlernen deutschen Brauchtums“ zugesichert wurde. Ein sehr lesenswerter Roman über ein wenig ruhmhaftes Kapitel europäischer Geschichte.
Rezension zu "Große Kannibalenschau" von CKLKH Fischer
Um 1900 hatten Franzosen, Engländer und sogar Holländer und Belgier die „Bürde des weißen Mannes“ auf sich genommen und sich ihren Platz an der Sonne gesichert, indem sie allerlei Kolonien „gründeten“. Selbstverständlich wollten auch die reichsgeeinten Bismarckdeutschen am imperialistischen Hype um Tabakplantagen, Christusverbreitung und Handabhacken teilhaben. Veränderte der expansive Drang der elektrisierten Europäer das Antlitz der Welt, so veränderten Menschen und Materialen aus den Kolonien auch die Mutterländer. Plötzlich gab es exotische Früchte zu kaufen, exotische Tiere konnte man in den überall entstehenden Tierparks bewundern – und die passenden (oder passend gemachten) exotischen Menschen noch dazu. Es war die Zeit der Völkerschauen, in der, ganz dem darwinistischen Zeitgeist entsprechend, die Grenze zwischen Tier und Mensch verschwamm. Literarisch wurde dieses Thema bisher eher stiefmütterlich behandelt, doch letztes Jahr konnte Christian Krachts „Imperium“ einen mittelgroßen Skandal entfachen, als er Sprache und Gestus der Jahrhundertwende in seinem Roman einfließen ließ. Relativ unbemerkt blieb leider CKLH Fischers „Große Kannibalenschau“, der bereits 2010 im Berliner Verlag Periplaneta veröffentlicht wurde. Auch Fischer hatte sich dem wilhelminischen Biotop angenommen, nur erzählt sein Roman von eben jenen Völkerschauen. Der Coup seiner fiktiven Geschichte mit teilweise realem Personal besteht in der Herauslösung der Zurschaugestellten aus ihrem Opferstatus. Die von Heinrich Hermann mittels Vertrag von Deutsch-Neuguinea in den Hamburger Zoo gelockten „Kannibalen“ pochen plötzlich mithilfe zweier Anwälte auf die Einhaltung eben dieses Vertrages. Der Leser verfolgt in zwei zeitversetzten Erzählsträngen Hermanns Reise nach Deutsch-Neuguinea und den weiteren, durchaus komischen Verlauf dieser unerhörten Situation. Das Herz der Finsternis lauert dabei nicht im Dickicht neuguinesischer Mangrovenwälder, sondern offenbart sich in den Sprachspielen der zivilisatorischen Avantgarde. Die ständig wortstark beschworenen Werte und überlegenen Sitten werden auf der Handlungsebene unterminiert. Das passiert vornehmlich, wenn etwa der Anblick, der doch sehr menschlichen Rundungen der Wilden bei den Bürgerinnen und Bürgern stets zu Hitzewallungen aller Art führt. Für die finden sie aber keine Worte, weil ihre eingeübten Konventionen für die interkulturelle Gefühlsebene nur militärisches oder zoologisches Vokabular zu bieten hat. Doch das rassistische Geschwätz ist so unschuldig wie Heinrich Hermanns Heroinkonsum, und Fischer gelingt es angenehmerweise ohne erhobenen Zeigefinger eine skurrile Geschichte moralisch zu grundieren; zu den Höhepunkten zählen sicherlich die Momente, wo sich Deutsche und Kannibalen so recht nicht mehr unterscheiden lassen und sich in ihren jeweiligen vermeintlich angestammten Eigenschaften übertrumpfen. Und so ist die „Große Kannibalenschau“ von CKLKH Fischer einer der besten historischen Romane der letzten Jahre. Wer sich mit der kolonialen Vergangenheit und Mentalität eines untergegangenen Reiches unterhaltsam beschäftigen will, kommt an,Fischers „Große Kannibalenschau“ nicht vorbei. Muten dessen Bewohner und ihr Gehabe heutzutage doch durchaus exotisch an. Eine echte Völkerschau eben.