Inhalt
Mit einer Pistole in den Händen und der Leiche des Vaters auf dem Rücken des Pferdes sind die chinesischen Waisenkinder Lucy und Sam auf der Flucht durch die Prärie. Amerika ist ein unbarmherziges Land, von Bisonknochen übersät und dem Goldrausch verfallen. Die Geschwister wollen den Vater gemäß dem chinesischen Ritual begraben – mit zwei Silberdollars auf den Augen. Nur auf diese Weise kann Ba nach Hause finden. Doch wo in dieser fremden Welt ist für Lucy und Sam das Zuhause, das so unerreichbar scheint wie das versprochene Gold in den Hügeln?
Cover
Der Orangefarbene Grundton fällt auf und auch die blauen Tiger sind interessant. Was haben diese mit dem Titel zu tun?
Ein Wort vorneweg
Meine Rezensionen können sowohl Spoiler enthalten als auch Analysen und Bewertungen, wobei der Schwerpunkt auf meinen persönlichen Eindrücken liegt.
Mein Eindruck
Ein Buch welches mich einerseits angelächelt hat, auf der anderen Seite der Klappentext etwas abgeschreckt hat. Nun war der Zeitpunkt gekommen es zu lesen und es war tatsächlich eine Perle in meinem SuB.
Der Klappentext suggeriert einen Western und die Geschichte ist in der Zeit des Goldrausches angesiedelt. Der wilde Westen spiegelt hier das fremde Land, eine fremde Kultur, eine neue Umgebung und ein neues Leben.
Es beginnt mit dem Tod des Vaters – Ba (Baba = 爸爸 = Vater) und erzählt die Geschichte von Lucy und Sam. Auf ihrer Suche nach einem Platz für das Begräbnis verändern sich zunehmend die Sichtweisen und Einstellungen der beiden, insbesondere Lucy verändert sich. Sie erzählt die Geschichte ihrer Familie und stellt sich zunehmend ihren Gefühlen, ihren Gedanken über Verlust und Einsamkeit, ihrem Wunsch nach einem Zuhause, einer Heimat.
Die Mutter ist eine Chinesin die mit 200 anderen Chinesen nach Amerika gekommen ist, um dort zu arbeiten. Der Vater, ebenfalls chinesischer Abstammung, wurde als Baby gefunden und ist im wilden Westen aufgewachsen. Er hat seine Eltern nie kennengelernt und war von Geburt an, ein Fremder im eigenen Land. Lucy und Sam ziehen gemeinsam mit den Eltern von Ort zu Ort und sind nirgendwo zu Hause. Der Alltag wird von Hunger und Armut bestimmt. Da wo es Arbeit gibt, lebt die Familie. Die Mutter mit der Sehnsucht im Herzen genügend Geld zu verdienen, um sich ein neues Leben aufzubauen und der Vater mit der romantischen Vorstellung von einem Grundstück und einem Haus in den Hügeln des Westens. Wie alle Goldsucher sind sie auf der Suche und dennoch gehören sie einfach nicht dazu, sind Sonderlinge im Westen. Eines Tages ist die Mutter verschwunden (verstorben?) und die beiden Kinder leben nun mit dem Vater alleine, bis dieser ebenfalls stirbt. Allein auf sich gestellt beginnt nun eine Reise der Kinder zu sich selbst und zu dem Sinn des Lebens.
Lucy und Sam haben jeweils ihre eigenen Vorstellungen, wie ihre Zukunft aussehen könnte. Ein angepasstes Leben, in dem das eigene Ich aufgegeben wird oder ein Leben in Rebellion und Widerstand. Nachdem sich Lucy und Sam für unterschiedliche Wege entschieden haben, treffen sie eines Tages wieder aufeinander und lernen den Wert der Familie zu schätzen. Ihre Beziehung zueinander ist neu und zeitgleich alt, denn sie kennen einander gut und können nun durch den zeitlichen Abstand die Charakterzüge des anderen besser annehmen.
Besonders gefallen hat mir in diesem Roman der Blickwinkel aus der Sicht von Lucy und Sam, da es ein Gefühl vermitteln konnte, wie sich Migranten der zweiten Generation fühlen. Die innere Zerrissenheit, die Frage wo sind meine Wurzeln und wie kann ich in Beziehung sein mit den Menschen vor Ort.
Gut gefallen haben mir auch die häufigen chinesischen Worte, die im Text integriert wurden und deren Sinn sich immer wieder aus dem Zusammenhang ergeben hat wie zum Beispiel Ting wo = 听我 = hör mir zu oder nu er = 女儿 = Tochter. Die Begriffe wurden immer wieder miteingefügt und ließen es realistisch erscheinen, denn ein neues Land und eine neue Sprache sind das Eine, die Muttersprache ist das Andere.
Auch gab es viele schöne poetische Beschreibungen von der Landschaft und von den Gefühlen der Hauptprotagonistin, die diese Geschichte erzählt.
Fazit
Ein Debütroman, der mir sehr gut gefallen hat.
Ein Roman welcher viele Themen angesprochen hat und dadurch ein wenig unwirklich erschien, da nicht alle Fragen die man sich als LeserIn gestellt hat, beantwortet wurden. Es gab zwar die Möglichkeit zwischen den Zeilen zu lesen, sich seine eigenen Gedanken zu machen, allerdings wirkte es an einigen Stellen ein wenig zu konstruiert; es waren inhaltlich einfach zu viele Themen die angesprochen wurden.
Zum Abschluss des Romans gab es noch ein ausführliches Interview mit der Autorin; hier hat sie sehr gut geschildert, welche Themen ihr wichtig waren und welche Emotionen durchaus autobiografisch Züge haben.
220806