Mit Mary Wollstonecraft Shelley habe ich mich im Zuge meines Studiums schon öfter beschäftigt und ich werde noch lange nicht damit aufhören. Diese Frau bzw. dieses Mädchen (ich vergesse immer wieder, wie jung Mary eigentlich war) hatte einen unglaublich großen Einfluss auf die Literatur und ich wünschte, sie hätte das miterlebt. Schon vor diesem Buch gehörte Mary zu den Menschen, die ich unbedingt mal kennenlernen möchte, sollte ich je eine Zeitmaschine in die Hände bekommen. Während ich dieses Buch gelesen habe, wurde dieser Wunsch noch viel stärker. Ich begann sogar schon davon zu tagträumen, wie Mary wohl auf die Möglichkeiten reagieren würde, die Frauen wie ich heute haben. In diesem Buch wird so oft erwähnt, wie sehr sich Mary sich gute Bildung für Mädchen und Frauen wünschte. Stellt euch doch mal vor, wie begeistert sie davor wäre, dass ich eine Universität besuche und sogar mehr Bildung genossen habe als viele Männer.
Ich denke, dass ich trotz meines Vorwissens über Mary Wollstonecraft Shelley eine sehr vereinfachte und wahrscheinlich auch romantisierte Version ihres Lebens im Kopf hatte. Mir war bewusst, dass Mary sehr früh mit dem Dichter Shelley durchgebrannt ist, der aber bereits mit einer anderen verheiratet war, und ich wusste auch, dass ihr das ihr Vater übel nahm und den Kontakt zu ihr abbrach. Ich wusste, dass Shelley Schulden hatte und nur wenige Jahre nach dem Kennenlernen starb. Ich weiß, dass "Frankenstein" gleichzeitig mit dem Fahrrad erfunden wurde und dass für beide Erfindungen ein Vulkanausbruch verantwortlich war. Diese Biografie geht aber noch um einiges mehr ins Detail. Ich wusste zum Beispiel nichts darüber, dass sie mehrere Kinder verloren hat. Ich wusste nicht wirklich viel über ihre Familie und kaum was über ihre Schwester, die das Paar auf ihren Reisen begleitet hat. Und ich hatte keine Ahnung, wie Shelley eigentlich so drauf war. Jetzt bin ich überzeugt davon, dass Percy Bysshe Shelley ein Narzisst war, der nur sich selbst gesehen hat und die Menschen um sich herum manipulierte und Mary vielleicht sogar am meisten. Da war so viel Toxisches in dieser Beziehung! Meine inneren Alarmglocken läuteten ununterbrochen. Wenn eine:r von euch das Gegenteil glaubt, könnt ihr gerne versuchen, mich davon zu überzeugen. Ich befürchte nur, dass ihr das nicht schaffen werdet.
Meiner Meinung nach hat Sichtermann bei der Recherche für diese Biografie ganze Arbeit geleistet. Ich habe das Gefühl, als würde ich Mary nun um einiges besser kennen als vor der Lektüre. Und Gott sei Dank wurden am Ende der Biografie auch alle Quellen aufgelistet. Mit dieser Liste werde ich mich in Zukunft auf jeden Fall noch länger beschäftigen.
Auch der Schreibstil war die längste Zeit sehr angenehm. Es handelt sich bei dieser Biografie um eine Romanbiografie, deswegen darf der Stil manchmal auch etwas kreativer und weniger sachlich sein. Nur an manchen Stellen wurde mir dann zu viel mit Einschüben und Gliedsätzen gearbeitet. Das erschwerte an diesen Stellen meiner Meinung nach dann auch die Verständlichkeit des Textes.
Aber alles in allem? Interessante Romanbiografie, die ich mit viel Interesse gelesen habe.