Rezension zu "Adams Erbe" von Astrid Rosenfeld
„Fängt man an zu schreiben, weil es jemanden gibt, dem man alles erzählen will?“ – 1. Satz
„Adams Erbe“ von Astrid Rosenfeld wurde 2011 im Diogenes Verlag veröffentlicht und umfasst 400 Seiten. Bei meiner Ausgabe handelt es sich um die gebundene Jubiläumsausgabe 60 Jahre Diogenes Verlag von 2012, die ich sehr empfehlen kann. Bei dem Roman war ich zunächst eher zurückhaltend und unschlüssig. Vielleicht auch, weil ich mich mit der Thematik des 2. Weltkrieges immer sehr unwohl fühlte. Solchen realistischen Horror, muss man erst einmal ertragen können. Trotzdem wollte ich dem Buch eine Chance geben.
Der Roman ist in drei Teile gegliedert. Zunächst kommt Edward Cohen in der Gegenwart zu Wort. Er wird um die 2000er herum erwachsen und erzählt in einem Brief an seine große Liebe von seinen Schwierigkeiten, einen Platz in der Welt zu finden. Eines Tages stößt er auf dem Dachboden seiner Großeltern auf ein Buch, welches von Adam, seinem Großonkel, verfasst wurde. Vielmehr handelt es sich um einen sehr langen Brief an seine Freundin Anna. Im zweiten Teil wird die Geschichte von Adam ab 1920, besonders aber zur Zeit des zweiten Weltkrieges, erzählt. Im letzten Kapitel, Adams Erbe, folgen wir wieder Edward und wie dieser auf Adams Geschichte reagiert. Beide Geschichten finden zusammen.
Innerhalb der Teile gibt es keine Kapitel, sondern lediglich Absätze, wenn eine Szene beendet wird oder ein Sprung in die Zukunft stattfindet. Der Leser erlebt den gesamten Roman aus der „Ich“-Perspektive, weshalb man eine ganz besondere Beziehung mit Edward und Adam eingeht.
Edwards Geschichte beginnt humorvoll und leichtfüßig. Er ist unangepasst und eckt immer wieder mit den Erwartungen der Gesellschaft an ihn an. Schon als Kind fühlt er sich nicht richtig zugehörig. Er kennt kaum den Namen seines Vaters und seine Mutter scheint meist mit ihren Gedanken ganz woanders zu sein. So übernimmt die strenge, aber sehr intelligente und geradlinige Großmutter die Führung der Familie. Der stark religiöse Großvater Moses nimmt nur selten am Familienleben teil. Edward fragt sich aber mit der Zeit immer öfter, was es mit dessen Bruder Adam auf sich hat. Es scheint eine starke Ähnlichkeit zwischen den Beiden zu geben.
Dies fällt dann auch auf, als man Adam endlich folgt. Dieser weiß genau so wenig wie Edward, in welche Richtung sein Leben gehen soll. Beide lernen ein Instrument, können sich aber für die Musik nicht wirklich begeistern. Beide warten vergeblich auf ein Zeichen, was sie beruflich machen könnten und stolpern ziellos durchs Leben. Bis sie sich beide verlieben. Und diese Liebe erscheint aufrichtig und bedingungslos. Auch Adam hat keine Vaterfigur, aber dafür eine strahlende Großmutter, die sich um die Familie kümmert und mit ihrer Präsenz das ganze Haus mit Leben füllt.
Einen entscheidenden Unterschied zwischen den beiden jungen Männern gibt es aber doch. Denn beide sind jüdischer Herkunft, haben aber damit unterschiedliche Voraussetzungen für ihr späteres Leben. Während Edward nicht sonderlich religiös ist, wird Adam in einer Zeit groß, in der er es als Jude sehr schwer hat. Je weiter man Adam begleitet, desto gravierender werden seine Einschränkungen. Das ist an einigen Stellen schwer zu ertragen. Trotz Allem bewahrt sich die Geschichte dabei ihren Humor und es wird klar, dass Adam trotzdem immer irgendwie weitermachen und nie aufgeben wird.
Es gab viele Figuren in dem Roman, die eigenwillig und damit auch einzigartig waren. Am meisten hat mich Julian Bussler, der Geigenlehrer Adams und überzeugter SS-Sturmbannführer, beeindruckt. Er ist zerrissen zwischen seiner Liebe zum Vaterland und seiner Loyalität zu Adams Familie. Ich wollte ihm oft böse sein, konnte es aber nicht. Er tut alles in seiner Macht stehende, um der jüdischen Familie zu helfen. Erst ganz am Ende versteht man seinen wahren Antrieb.
Die Geschichte wird mit der Zeit immer intensiver. Man muss sich darauf vorbereiten, Adam durch Polen und bis ins Warschauer Ghetto zu begleiten. Das ist nicht immer einfach zu lesen, obwohl der Schreibstil vieles leichter macht.
„Es gibt höhere Gewalten, Orkane und Erdbeben. Aber was wir hier erleben, ist keine Naturkatastrophe, sondern das Werk von Menschen.“ (S. 369)
Nach dem Lesen brauchte ich erst einmal ein paar Tage, um den Roman wirken zu lassen. Ich bin mir sicher, dass ich mich noch sehr lange an dieses Buch erinnern werde. Ich gebe 5/5 Sterne.