Rezension zu "All Good People Here: A Novel" von Ashley Flowers
Es gibt Verbrechen, die eine ganze Stadt für immer verändern. Für den 2000-Einwohner-Ort Wakarusa im US-Bundesstaat Indiana ist ein solcher Fall die Ermordung der sechsjährigen January Jacobs, die 1994 mitten in der Nacht aus dem eigenen Elternhaus verschwand und nur tot wieder aufgefunden wurde. Die Tat versetzte die ganze Kleinstadt in einen Schockzustand und konnte auch in den Jahrzehnten danach nicht aufgeklärt werden.
25 Jahre nach diesen dramatischen Ereignissen kehrt Margot Davies in ihre Heimat Wakarusa zurück, um sich dort um ihren an Demenz erkrankten Onkel zu kümmern. Margot war damals die gleichaltrige Spielkameradin des Opfers und strebt inzwischen eine Karriere als Journalistin an, die nicht allein durch ihren Umzug jedoch merklich ins Stocken geraten ist. Als kurz nach ihrer Rückkehr erneut ein junges Mädchen in unmittelbarer Umgebung verschwindet, sieht sie ihre große Chance als Kriminalreporterin gekommen – denn sie ist davon überzeugt, dass es eine Verbindung zum Tod von January Jacobs gibt.
“All Good People Here” ist der Debütroman der Amerikanerin Ashley Flowers, allerdings ist diese in der Krimi-Branche durchaus keine Unbekannte, denn in den USA hat sich die Autorin bereits ein regelrechtes Podcast-Imperium aufgebaut und widmet sich in “Crime Junkie”, dem Hauptformat und Aushängeschild ihres Unternehmes, regelmäßig wahren Kriminalfällen.
Nun hat sich Flowers also auch an einem ganzen Buch versucht, wobei es sich hier zwar um ein fiktionales Werk handelt, welches aber vom Fall der Kinder-Schönheitskönigin JonBenét Ramsey inspiriert sein dürfte, die 1996 ebenfalls im Alter von sechs Jahren ermordet wurde. Somit ist “All Good People Here” zwar offiziell kein “True Crime”-Roman, wirkt in der Schilderung der Umstände des Verbrechens an January Jacobs aber vermutlich auch bedingt durch die naheliegenden realen Hintergründe authentisch und glaubwürdig. Vor allem die enorme Wucht der Tat auf die Familie des Opfers sowie auf das Leben in der Kleinstadt wird eindringlich vermittelt und erzeugt von Beginn an eine einnehmende und häufig beklemmende Stimmung.
Der Roman ist aber nicht nur Krimi, sondern zu gewissen Teilen auch Familiendrama, sowohl was die Hinterbliebenen des getöteten Mädchens betrifft, aber auch die Hauptfigur Margot Davies, die weitestgehend hilflos mitansehen muss, wie ihr geliebter Onkel ihr aufgrund seiner Erkrankung immer mehr entgleitet und in seinem Verhalten stellenweise kaum noch wiederzuerkennen ist. Trotz Nebenschauplätzen wie diesem steht die Spannung hier jedoch klar im Vordergrund und wird durch viele interessante Wendungen durchgängig hochgehalten. Diese sind zwar nicht immer unvorhersehbar, schaffen aber eine intensive Sogwirkung, der man sich kaum entziehen kann. Und so ist “All Good People Here” insgesamt sicher kein literarisches Meisterwerk, Ashley Flowers drückt aber die richtigen Knöpfe, um ihr Debüt zu einer emotionalen Achterbahnfahrt zu machen, die trotz der eher ruhigen Erzählweise vom Anfang bis zum – sicherlich etwas kontroversen – Ende durchgehend fesselt.