Rezension zu "Der alte König in seinem Exil" von Arno Geiger
Arno Geiger hat mich mit diesem Buch über seinen an Alzheimer erkrankten Vater sehr berührt. Und zwar leider höchst unangenehm berührt. Geiger war es wichtig, diese sehr persönliche Geschichte, an der er über sechs Jahre gearbeitet hat, noch zu Lebzeiten seines Vaters zu veröffentlichen. Ich finde das reichlich problematisch. August Geiger wird hier zum Protagonisten einer biografischen Erzählung, intimste Details werden vor der Leserschaft ausgebreitet, ohne dass der Betroffene widersprechen kann, einfach deshalb, weil er nicht mehr geschäftsfähig ist und auch gar nicht mehr erfassen könnte, was es bedeutet, dermaßen zur Schau gestellt zu werden.
Arno Geiger schreibt durchaus unterhaltsam, ich habe die knapp 200 Seiten nahezu am Stück gelesen. Und auch wenn, wie er selbst konstatiert, jeder Demenzkranke sich vom anderen unterscheidet, so mag seine Schilderung doch für viele betroffene Angehörige Trost bereit halten. Allein, seine Sicht der Dinge ist mir zu geschönt. Geiger sucht (und findet in seiner Interpretation auch) im immer stärker mental und sprachlich eingeschränkten Vater Großartiges zu entdecken. Für mich sind die väterlichen Zitate weniger Ausdruck eines nach wie vor wachen Intellekts als vielmehr glückliche verbale Zufälle. Und auch Geigers Deutung von Alzheimer als Jahrhundertkrankheit kann ich nicht folgen. Der Autor vermeint in der rapiden Zunahme an Demenzerkrankungen eine Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen zu sehen. Die große Zahl an Neuerungen, der Wegfall von "Pfeilern" wie Religion, Sitten etc. führt für ihn zu Verunsicherung vieler Menschen, die sich in Folge davon auch geistig zurückziehen. Diese Argumentation ist sehr fragwürdig. Denn einerseits haben ja wohl zwei Weltkriege auch bereits massive Verunsicherungen ausgelöst, und andererseits korreliert der Anstieg an Demenzerkrankungen schlichtweg mit einer wachsenden Lebenserwartung. Nun ja, Geiger ist halt Schriftsteller und kein Wissenschaftler. Doch dann sollte er sich auch nicht zu solch schrägen Aussagen hinreißen lassen.
Neben dem Inhalt stört mich auch die Form, eine Art biografischer Essay. Der Duktus ist oft plaudernd distanziert, manches wirkt dadurch belangloser als es gewesen sein muss. August Geigers Schicksal böte Stoff für einen bewegenden Roman, zu wirklich großer Literatur konnte sein Sohn diese Geschichte leider nicht machen.