Rezension zu "Das glückliche Tal" von Annemarie Schwarzenbach
Annemarie Schwarzenbach war eine Reisende, eine rastlos Reisende. Immer umarmt von der Sehnsucht nach Freiheit. Das mag in den den Zeiten ihres Lebes (1908 bis 1942) skurril erscheinen, zumal sie aus einer wohlhabenden, nein reichen Zürcher Familie stammte, ihr Vater war einer der größten Seidenfabrikanten der Welt und ihre Mutter und andere Familienmitglieder liebäugelten mit dem Nationalsozialismus.
Sie hatte trotzdem eine behütete Kindheit und auch die Mittel, ihre Reiseträume zu verwirklichen. Zu ihrem großen Freundeskreis gehörten u.a. die Geschwister Klaus und Erika Mann. Ich las den Namen Annemarie Schwarzenbachs zum ersten Mal in der Autobiographie von Klaus Mann„Der Wendepunkt“, lang lang ist’s her.
Obwohl Annemarie Schwarzenbach auch andere Länder bereiste, gehörte der orientalische Osten zu ihren Sehnsuchtsorten: Immer wieder Persien. 1939 reiste sie mit der Schweizerin Ella Maillart in einem Ford über Land bis nach Afghanistan. Lange bevor es den Hippie-Trail gab. Und kurz vor Ausbruch des 2. Weltkriegs. Was für zwei wagemutige allmutige junge Frauen. Über Land, allein, im Auto, in weltgeschichtlich verlassene „finstere“ Gegenden. Über diese Reise wurde Jahrzehnte später ein Film gedreht und es gibt zudem ein wunderbares Buch „Unsterbliches Blau. Reisen nach Afghanistan“ mit Fotos von Schwarzenbach und Maillart aus den Jahren 1939/1940, die mit den Ablichtungen Nicolas Bouviers aus den Jahren 1953/1954 eine einzigartige Verbindung eingehen. Ihr Hang zu den orientalischen Gefilden mag ein unbewusstes seidiges Echo auf die Herkunft des familiären Vermögens sein.
Schwarzenbach war morphiumsüchtig und mehrfach in entsprechenden Behandlungen, auch wegen suizidaler Tendenzen. Für mich ist sie ein Beispiel jener merkwürdigen Zeit, zwischen den Kriegen, in der Schweiz selbst verschont, geschliffen von den Codes einer „abgehobenen“ Gesellschaft. Interessanterweise entdecke ich mögliche Parallelen zu Fritz Zorns „ „Mars“, auch er ein Kind der reichen Zürcher Oberschicht, geformt von den unausgeprrochenen To dos, to have and not to dos dieser Klassengesellschaft. Er führte seine Krebserkrankung auf diese interna-lisierten, lieblosen Gesetze zurück und auch Annemarie Schwarzenbachs intensives Verlangen nach Freiheit, verbunden mit ihrer Morphiumsucht könnte man dahingehend interpretieren. Sie selbst beschreibt es so: „Das Leben in der zivilisierten Welt braucht Hilfsmittel, um die unbeque-men Träume zu vernichten.“ Ein durchstrukturiertes Leben der Pflichten.
In diesem kleinen Büchlein, das tragisch durchzogen ist von wechselnden Stimmungen und Euphorien der gesuchten und zugleich gefürchteten Einsamkeit, vom Hohen Lied der Freiheit, schält sich schon sehr viel „J’accuse“ der westlichen heuchlerischen Zivilisation heraus und sie war damit wahrscheinlich ihrer Zeit voraus: „Ich habe den Sitten des Abendlandes den Rücken gekehrt. Und ich frage mich, um welchen Preis erkaufen sie dort den Frieden ihrer Seele?
Angst hat Euch gepackt, wenn der Wall Eurer Sitten und Gewohnheiten nicht mehr standhält, Eure Maße und Ziele nichts mehr gelten“ .
Das Tragische an ihrem Leben ist, dass sie weder dort noch hier ihren Seelenfrieden gefunden hat. Vielleicht für Momente in den Umarmungen von Jalé, einer großen fraulichen Liebe, vielleicht in den Begegnungen mit Gauklern, Magiern, Schlangenbeschwörern, Feueranbetern, Haschisch-essern und Opiumrauchern. Vielleicht in den Erkundungen der Orte wie Tiflis, Isfahan, Kerbela, Aleppo, Damaskus, Bagdad, Tripolis, Schiras und dem „glücklichen Tal“ mit dem Blick auf den sich immer im Spiel des Lichts anders präsentierenden Demawend,
In all der nomadischen Lebensweise ertönen immer wieder Heimwehklänge auf, Sehnsucht nach der behüteten Kindheit, den sanften Abenden, den Wiesen und Wäldern. Und der Angst, den Heimweg als Verlorene Tochter nicht mehr zu finden. Und dann wieder Passagen, die fast trotzig niedergeschrieben sind: „Man hat nur ein einziges Leben und es will nicht verschwendet und vergeudet sein.“
Nein, Annemarie Schwarzenbach hat ihr kurzes Leben trotz aller innewohnenden Zerrissenheit nicht verschwendet und vergeudet. Denn sie war ja nicht zur Reisende, sie arbeitete an archä-ologischen Ausgrabungen mit, sie schrieb, sie fotografierte und ihr Nachlass ist ein Bild jener Zeit aus der Feder und mit dem Blick eines ganz besonderen Wesens.
Immer wieder elegische wehmutsvolle Gedanken an die vergehende Zeit: „Man müsste sich erinnern, zurückgehen, Schritt für Schritt, dann würde man sich vielleicht am Anfang wiederfinden. Alles noch einmal sehen, noch einmal zurückkehren.“
Da taucht viel Schmerz auf über das Wechselvolle des Lebens: das was man hat, das was möch-te: „mein Gepäck sollte Immer leichter werden, keine Gegenstände, keine Namen, keine Bilder, keine Bücher und kein Dach über dem Kopf.“
Aber können solche Wünsche nicht nur entstehen, wenn man eigentlich alles hat? Wenn da als Grundstock der Maslow’schen Pyramide die ökonomische Absicherung vorhanden ist?
Ganz wunderbar in dieser Prosa der Ich-Findung und zugleich der Ich-Entfremdung ist ihre poetische Sprache, ihre übersetzte Sprache der Natur mit wunderbaren Schilderungen des Tals, der Einöde, des Brausens des unsichtbaren Windes, des monotonen Rieselns des Gerölls.
Und die Farbigkeit der nomadischen Nachbarn, der ziegenfilzigen Zelte, der leuchtenden Röcke der Frauen und talabwärts eine andere Natur: Dschungel, Urwald, Reisfelder, Wasserbüffel.
Es ist nicht einfach, sich dem Rhythmus der Sprache und den hin und her springenden Gedanken und Gefühlswelten anzupassen, aber es ist eine Mühe, die sich lohnt. Ein wichtiges kleines Buch aus einer Zeit, die uns heutigen Lesern so weit entfernt scheint: Mitte der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts.
Es ist elegisch wie die Duineser Elegien von Rilke, hin und her schwankend wie ein Bambusrohr wie das Glück, das sich der Klage über das menschliche Sein beugt.
Und wer möchte nicht gelegentlich ein Bambusrohr sein?