Rezension zu "Der Fremde" von Albert Camus
Der Icherzähler ist ein ambitionsloser Büroangestellter im Algier der 1930-er Jahre (das Buch erschien 1941 erstmals). Nachdem er seine Mutter, zu der er kein enges Verhältnis hatte, beerdigt und sich mit einer Exkollegin anfreundet, gerät er in den Dunstkreis seines zwielichtigen Nachbarn. Als er am Strand mit dessen Rivalen, einem Araber, konfrontiert wird, erschießt er diesen in einem seltsamen Zwischenzustand aus Bedrohungsgefühl und Verwirrung.
Die Anklage wirft ihm die kalte Haltung zu seiner Mutter, die unmittelbare Affaire nach dem Tod der Mutter und seine lakonische Haltung als schuldverstärkend vor und das Gericht verhängt die Todesstrafe. Gelassen blickt er dem Ende seines sinnlosen Lebens entgegen.
Camus’ reduzierte Prosa entfaltet auch achtzig Jahre nach Erscheinen eine ziemliche Wucht. Die ruhig-sachliche Schilderung der Ereignisse lässt sich nachvollziehen und zugleich bleibt einem diese gänzliche Abwesenheit von Empathie fremd.
Weltanschaulich kann die „Philosophie des Absurden“ heute nicht mehr so punkten wie zu der Zeit, als das Buch herauskam und die europäische Jugend verzückte. Im Streit mit dem Priester, der den Erzähler im Gefängnis betreut und der an dessen reueloser Gelassenheit schier verzweifelt, hat auch heute noch Kraft. Aber die extreme Lakonik, halb Forrest Gump, halb coole Socke, wirkt zwar vertraut, aber doch auch unreif. Als trotzige Reaktion abgeklärter Teenager mag sie fortleben, aber als Richtschnur für ein erfülltes Leben taugt sie wenig.